Audi 1991 vs. Audi heute – ein persönlicher Blick zurück nach vorn

Die IAA 1991 war meine erste große Automesse. Ich war jung, hungrig und komplett überwältigt. Nicht wegen der Menschenmengen oder…

Die IAA 1991 war meine erste große Automesse. Ich war jung, hungrig und komplett überwältigt. Nicht wegen der Menschenmengen oder der glänzenden Messestände. Sondern wegen zwei Fahrzeugen, die sich tief in mein Herz eingebrannt haben: der Audi quattro Spyder in Frankfurt und wenig später der Audi Avus quattro in Tokio. Zwei fahrende Visionen.

Ich erinnere mich noch genau, wie ich vor dem Audi quattro Spyder stand – wie gebannt. Eine flache, keilförmige Karosserie, Vollaluminium, Türen wie Skulpturen, das Licht spiegelte sich im orangemetallischen Lack wie in einer flüssigen Zukunft. 1.100 Kilogramm, V6-Mittelmotor, quattro. Damals eine Ansage. Heute? Immer noch ein technisches Kunstwerk.

Und dann – wenig darauf und nur auf Papier gedruckt zu erleben damals: der Avus quattro – dieses Monster aus gebürstetem Aluminium. Eine Designstudie wie aus einer anderen Welt. Der W12-Motor war zwar ein Dummy – aber das war egal. Denn die Botschaft war klar: Wir können das. Wir denken größer. Wir denken weiter.

Die W12-Technik wurde später Realität – in den Luxusmodellen von Audi und Bentley. Der Sound, der seidenweiche Lauf, die pure Kraft – das war Ingenieurskunst in Reinform. Audi war die erste Marke, die das Prinzip „Vorsprung durch Technik“ nicht nur auf die Heckklappe schrieb, sondern in jede Schraube und jeden Zylinder legte.

Und dann: die Fünfventil-Technologie. Ein Meisterstück der Motortechnik. Mehr Atmung, mehr Leistung, mehr Effizienz – in einer Zeit, als andere noch mit dem klassischen 2-Ventil-Layout hantierten. Diese Motoren waren drehfreudig, willig, lebendig. Man fühlte sie. Man hörte sie. Man verstand sie. (Und ja, man verstand später auch, dass 5-Ventile nicht besser sind, als 4 – aber man versuchte es!)

Der quattro-Antrieb sowieso: eine Revolution. Nicht nur für den Rallyesport, sondern für den Alltag. Ein Versprechen für Sicherheit – und für Dynamik bei jedem Wetter. Kein anderes System wurde so konsequent weiterentwickelt, so vielseitig eingesetzt. Und keiner klang dabei so gut, wie ein Audi mit fünf Zylindern und Allradantrieb auf Schnee in der Nacht.

Audi war Technik. Audi war Idee. Audi war der Mut, anders zu sein. Zwei Manifestationen von dem, was Audi einst war – und was die Marke über Jahrzehnte definiert hat:

Vorsprung durch Technik.

Design, das seiner Zeit voraus war.

Leichtbau. Aluminium. Quattro. 5-Ventil-Technologie. W12.

Diese Fahrzeuge waren keine Serienmodelle – aber sie waren Botschaften. Stolze Technologieträger. Sie waren Audi in Reinform.

Und hinter all dem?

Und über all dem schwebte ein Name wie ein Dirigent über einem perfekt gestimmten Orchester: Ferdinand Piëch. Der Ingenieur. Der Stratege. Der Patriarch. Der Mann, der nicht nur den quattro möglich machte – sondern Audi aus dem Schatten von DKW und NSU in den Olymp der Premiummarken führte. Der Enkel von Ferdinand Porsche, aber nie nur Erbe. Sondern Schöpfer.

Er war nicht bequem. Nicht charmant. Nicht laut. Sondern brillant, fordernd, fast furchteinflößend. Aber was er anfasste, wurde zur Benchmark: quattro-Antrieb, Aluminium-Spaceframe, W12-Motor, Le-Mans-Siege, ja, sogar der legendäre V10-Diesel im R10 TDI – kein Mensch hätte sowas freigegeben. Außer Piëch.

Er war der Architekt eines Konzerns, der später unter dem Dach von Volkswagen alles verschlang, was Qualität versprach: Bentley, Bugatti, Lamborghini, Ducati, Porsche, Scania, MAN. Piëch sah Marken nicht als Trophäen – sondern als Zahnräder in einem Machtgetriebe. Und er wusste: Wenn du Technologie nicht vor der Konkurrenz denkst, wirst du überholt.

Sein „Ende“ kam leise, aber bedeutsam. 2015, in Folge des Diesel-Gate-Machtkampfs mit Martin Winterkorn. Der Satz, den er über seinen Zögling sagte – „Ich bin auf Distanz“ – war das letzte Piëch-Wort, das ein ganzes Imperium zittern ließ. Wenige Wochen später war er raus. Wie ein König, der seinen Thron selbst anzündet, um nicht dabei zusehen zu müssen, wie andere ihn entweihen.

Diese Zeit der visionären Führung und des technologischen Muts scheint heute weit entfernt. Doch wer Audis Zukunft neu denken will, der muss die Historie verstehen, der muss Piëch verstehen. Denn ohne ihn gäbe es keinen quattro. Keine Alu-Karosse. Keine Designikonen wie Avus oder Spyder.

Nur ein weiteres deutsches Auto mit vier Ringen – und ohne Seele.

Aber vielleicht ist das auch gut so. Denn was bleibt, ist die Idee Audi, wie ich sie damals zum ersten Mal gespürt habe.

Und heute? Heute erleben wir eine andere Marke Audi.

Nicht „unbedingt“ schlechter. Aber … suchend.

Zwischen „Premium-Verlässlichkeit“ und „mutloser Beliebigkeit“.

Zwischen „Tron-Zukunft“ und „Q-Überangebot“.

Zwischen der Historie als Technologieführer – und einer Gegenwart, die sich oft zu leise anfühlt.

Wo ist er hin, der Stolz auf den eigenen Anspruch?

Wo ist der Mut, nicht dem Markt hinterherzulaufen – sondern ihn neu zu definieren?

Wo ist der Audi, der einst Mercedes und BMW zeigte, wie Innovation geht?

Ich will Audi nicht schlechtreden. Ich liebe die Marke.

Aber manchmal habe ich das Gefühl, die Herzen schlagen nicht mehr synchron mit dem, was auf den Straßen rollt.

Warum ich das schreibe? Weil Liebe auch Kritik bedeutet.

Weil ich mir wünsche, dass Audi zurückfindet – zu seinem Selbstbewusstsein. Und weil ich weiß, was möglich ist, wenn man Technik mit Vision paart.

Die Konzepte von 1991 haben das bewiesen. Audi hat diese Gene noch immer, man kann Gene nicht verlieren. Sie sind da.

Was fehlt, ist der Wille, sie freizulegen. Oder ein Piech.

Bjoern Habegger